Die Lehre des Häuptlings

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,

heute möchte ich Ihnen einen bemerkenswerten Menschen vorstellen. Angeregt durch die Lektüre eines Buches des amerikanischen Philosophen Jonathan Lear bin ich auf ihn gestoßen. Sein Buch „Radikale Hoffnung“ hat mich gepackt und ich möchte sie teilhaben lassen an meiner Leseerfahrung. Warum? Weil ich denke, die Gedanken von Jonathan Lear haben ganz viel mit dem zu tun, was wir gerade erleben.

Das Buch handelt von Plenty Coups (1848-1932), einem Häuptling des Indianerstammes der Crow. Ihre angestammte Lebensweise war die eines nomadischen Stammes. Die Jagd auf Büffel war nicht nur Lebensgrundlage. Zum elementaren Ausdruck seines Selbstverständnisses gehörte für einen Crowmann Jäger und Krieger zu sein. In den Jahren von Plenty Coups Kindheit geriet der Stamm in große Bedrängnis. Die Sioux waren übermächtig geworden, und es sah so aus, als würden sie die Crow auslöschen. In dieser verzweifelten Lage beschlossen die Crow, sich mit den Weißen, die gekommen waren, um sich das Land der Indianer zu nehmen, zu verbünden und mit ihnen in den Kampf gegen die Sioux zu ziehen.
Plenty Coups war in dieser Lage bereit mit seinem Stamm ins Reservat überzusiedeln. Das hatte zur Konsequenz, dass der Stamm seine traditionelle Lebensweise aufgeben musste. Plenty Coups Größe bestand darin, dass er davon überzeugt war, dass durch diesen Schritt Gutes in der Zukunft für die Crow erwachsen würde. Diese Vorstellung vom Guten, die weit hinausgeht über das, was traditionell als das Gute gegolten hatte, wurde dem Häuptling und letztendlich dem Stamm zur Überlebenshilfe. Radikal war diese Hoffnung deswegen, weil nichts im realen Leben für sie sprach. Sie gründet allein im festen Glauben, dass die Güte der Welt größer ist, als der Mensch zu wissen meint. Radikale Hoffnung aber hilft, in einer aussichtslosen Situation Mut zu fassen, aus dem Wissen, dass es einen Weg in eine gute Zukunft gibt. Für die Crow vermittelte sich diese radikale Hoffnung durch ihren Glauben an Geister und an einen Gott.
Auch wenn unsere Lebensweise nicht in der Weise zerstört wird, wie das für die Crow gilt, so erleben wir gegenwärtig doch, wie sehr sich unsere Lebensform angesichts einer weltweit grassierenden Pandemie verändert hat. Inwiefern diese Veränderungen von Dauer sein werden, wird sich erst noch erweisen müssen.

Aber wir leben in herausfordernden Zeiten und da ist es gut nach vorne zu schauen. Mir hilft dabei ein altes Gebet, das den Gedanken des Häuptlings aufnimmt.

Viele sagen: „Wer wird uns Gutes sehen lassen?“ Herr, lass leuchten über uns das Licht deines Antlitzes! (Psalm 4,7)

Im Stimmengewirr der vielen Meinungen, Zweifel und Sorgen, liegt es doch an uns, worauf wir schauen. Schwierige Situationen wird es immer geben. Aber wir können den Herrn bitten, uns wieder nahe zu sein und das Gute zu erkennen! Wenn er uns freundlich anschaut, ist schon viel geholfen. Wir leben davon, dass er uns sein Angesicht zuwendet. So eröffnet sich Zukunft. So ergreifen wir das Gute, das Gott für uns bereithält.

Lasst uns auch die Menschen im Blick behalten, die gerade nichts Gutes sehen können. Damit sie wieder Licht am Ende des Tunnels sehen. Nicht irgendein Licht, sondern den Vater des Lichts. Der uns freundlich und liebevoll anschaut.

Pfarrer Carsten Schleef

https://www.indianerwww.de/indian/plenty-coups.htm