Flagge zeigen

„Das reicht!“, sagen zurzeit viele Menschen und gehen landauf, landab auf die Straßen und Plätze der Städte und Dörfer. Gleich einem vielstimmigen Chor erheben sie lautstark ihre Stimmen gegen Rassismus und Menschenverachtung. Die Aufdeckung eines Geheimtreffens rechtsextremer Köpfe und ihrer Sympathisanten durch das Recherchenetzwerk Correctiv war Initialzündung für eine der größten Demonstrationswellen in unserem Land. Der Protest gegen krude Gedankenspiele einer massenhaften Rückführung („Remigration“) von Menschen mit ausländischen Wurzeln und Herkünften ist ein starkes Zeichen einer vitalen Zivilgesellschaft und Ausweis einer wehrhaften Demokratie. Es ist heilsam die alles lähmende „Schweigespirale“ zu durchbrechen und denen eine Stimme zu geben, die in Angst und Unsicherheit versetzt wurden.
Wie in vielen anderen Kirchengemeinden haben auch wir aufgerufen, sich an diesen Protesten zu beteiligen. Wir tun das aus der Überzeugung heraus, dass jeder Mensch, egal welchen Geschlechts, sexueller Orientierung, Hautfarbe, Herkunft, kultureller Prägung und Religion, Würde und Achtung genießt. Das ist das Gebot der Menschlichkeit, die sich aus Artikel 1 unseres Grundgesetzes ergibt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Als Christenmenschen gründet dieses Gebot der Menschenwürde im Glauben an die von Gott jedem Menschen zugeeignete Ebenbildlichkeit Gottes. Jeder Mensch ist das Abbild Gottes. Darum: Die Würde des Menschen gilt es als Geschöpf Gottes ohne jede Einschränkung zu wahren.
Es hat mich gefreut, dass einige unserer Gemeindeglieder unserem Aufruf gefolgt sind. Ich denke, es ist Zeit, dass wir als Christinnen und Christen Flagge zeigen gegen völkisches Gedankengut und rechtsextremistische Kampfesrhetorik. Gerade weil der Gott, an den wir glauben, sich von der Welt nicht ab-, sondern sich ihr in Christus zuwendet, ruft das Evangelium stets auch zur Übernahme politischer Verantwortung auf. Und da gilt es – der Tradition Dietrich Bonhoeffers folgend „nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen.“
Das Wichtigste, das wir als Kirche und Gemeinde tun können und auch faktisch in jedem Gottesdienst tun, ist es, in unserer Fürbitte derer zu gedenken, die bereit sind in der Politik Verantwortung zu übernehmen. Das heißt ja letztlich auch die Fürbitte für uns selbst, weil wir zumindest als Regierte politische Mitverantwortung tragen. Solange unsere Kirche das nicht vergisst, bleibt sie bei ihrer Sache, so wie es die Barmer Theologische Erklärung in ihrem Artikel V bekannt hat: „Sie (die Kirche) erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten.“