Der Halt in den Haltungen

Die medialen Ankündigungen weckten Erwartungen. Ein deutliches Zeichen musste her. Der deutsche Fußballverband und der Weltverband Fifa standen sich gegenüber. Ein Kräftemessen, das auch die nicht fußballbegeisterten Gemüter bewegte. Denn längst ging es nicht mehr nur um die „schönste Nebensache der Welt“. Fragen der Menschenrechte, der Meinungsfreiheit und des Verhältnisses zwischen Sport und Politik bestimmten das mediale Interesse. Darf Manuel Neuer mit der „One-Love“-Käpitänsbinde ins Stadion einlaufen? Erlaubt die Fifa den damit ausgedrückten Protest der Deutschen Nationalmannschaft gegen die Menschenrechtsverletzungen im Wüstenstaat Katar?

Wie wir wissen, hat sich der mächtige Weltverband durchgesetzt. Die Überzeugungsgeste der „One-Love“- Binde wurde kurzerhand verboten. Der DVB konterte mit einem choreografierten Mannschaftsfoto: Hand vor dem Mund. Alle Welt sollte sehen und verstehen: Wir lassen uns den Mund nicht verbieten. Wir zeigen Flagge und stehen für eine Haltung pro Menschenrechte. Gewiss ein originelles Zeichen. Gekostet hat es aber wenig. Sanktionen hatte der DVB nicht zu fürchten, weder von der Fifa noch von staatlicher Seite. Ganz anders sah das bei der iranischen Mannschaft aus. Ihr demonstratives Schweigen bei der Hymne war hoch risikobehaftet. Fußballspieler und deren Familien standen in Gefahr, staatlichen Repressionen ausgeliefert zu sein. Ihre Geste war nicht nur mutig. Sie war auch Ausdruck einer Haltung, die bereit war, Nachteile und Konsequenzen zu tragen.

Ich gebe zu, das hat mir imponiert. Es geht eben nicht nur um äußerliche Gesten, denen eine mediale Öffentlichkeit Haltungsnoten zuteilt. Flotte Bekenntnisse, die keiner inneren Haltung entspringen, kosten nichts und sind wenig wert. Denn echte Veränderungen von untragbaren Verhältnissen ziehen sie in den allerwenigsten Fällen nach sich. Haltung kommt nämlich von Halt.

Das gilt auch in Sachen Glauben. Das Evangelium ist nicht nur ein Begriff, sondern eine wirksame, rettende Kraft Gottes, der sich die Gläubigen „nicht zu schämen brauchen“ (Röm 1, 16f). Nicht die Scham, die der Blick der Anderen auslösen könnte, zählt, sondern die Zuversicht sich von Gottes voraussetzungs- und bedingungsloser Liebe angesehen zu wissen. 

„Du bist ein Gott, der mich sieht“ – das steht als Motto über diesem neuen Jahr. In diesem Bekenntnis drückt sich eine Haltung aus, die bereit ist, Widerständen zu trotzen und auch gegebenenfalls Nachteile in Kauf zu nehmen. Wer sich von Gott angesehen weiß, kann sich den Realitäten des Lebens stellen, ohne die Probleme auszublenden. 

Vor allem aber brauchen wir nicht zu verzagen. Auch wenn unsere Kirche kleiner wird und ihre Stimme weniger gehört wird, steht Grund und Ziel unseres Glaubens fest. Die äußere Haltung spiegelt die innere Zuversicht. Sie ist das beste Pharmakon gegen eine Haltung der Resignation. Denn im Alltag unseres Lebens geht es um die Frage, wie wir fröhlich Christen bleiben können. Dazu braucht es Menschen, die Veränderungen in unserer Kirche voranbringen. Und diese Menschen brauchen Ideen, Geduld und Willenskraft. Das alles ist sehr handfest. Bloße Gesten, vollmundige Bekenntnisse verändern selten. Taten schon. 

Pfarrer Carsten Schleef