Die Glocke

Fest gemauert in der Erden
Steht die Form, aus Lehm gebrannt.
Heute muß die Glocke werden.
Frisch, Gesellen! Seid zur Hand.

Liebe Gemeinde,
so beginnt das vermutlich berühmteste deutsche Gedicht, das „Lied von der Glocke“ von Friedrich Schiller. Dass das berühmteste deutsche Gedicht ausgerechnet einer Glocke gewidmet ist, kommt nicht von ungefähr. Die Glocke ist schon immer ein ganz besonderes Instrument gewesen.
Ihre vornehmste Aufgabe ist der Ruf zum Gottesdienst, zum Hören von Gottes Wort und zum Gebet. Von Anfang an war die Glocke ein ‚geistliches‘ Instrument mit einer ‚geistlichen‘ Funktion. Erst mit der Zeit kamen auch ganz weltliche Funktionen hinzu: wie das Schlagen der Uhrzeit oder das Glockenspiel. Warum aber kam gerade der Glocke diese geistliche Rolle zu?
Jede gegossene Glocke ist einzigartig und hat deshalb einen individuellen Klang. Und der Klang einer Glocke besteht aus einer Anzahl realer, messbarer Töne, aber auch aus meistens einem virtuellen, nicht messbaren Schlagton. Dieser nicht messbare, virtuelle – oder auch transzendente – Ton ist der Grund für die geistliche Bedeutung der Glocke. Die Glocke ruft uns zum Gottesdienst, sie ruft uns aus dieser Welt heraus, indem sie uns mit ihrem nicht messbaren Klang auf eine andere, ebenfalls nicht messbare Welt verweist: das Reich Gottes.
Mit ihrem einzigartigen Charakter bringt die Glocke jenes Wort Jesu zum Klingen und erinnert uns an eine tiefe, christliche Überzeugung:
„Sie [die Menschen] sind nicht von der Welt, gleichwie ich auch nicht von der Welt bin.“ (Johannes 17,16)

Herzlich grüße ich Sie,
Ihr Gregor Wiebe

Foto: Ankunft/Einweihung der neuen Glocken der Dorfkirche Seelscheid um 1949,
Archiv der Evangelischen Kirchengemeinde Seelscheid