Von Gottes Heim-suchung

Es sind außergewöhnliche Zeiten, in denen wir leben. Menschen, die das Weltgeschehen aufmerksam beobachten, sprechen von einer epochalen Zäsur globalen Ausmaßes. Noch nie wurde eine Weltgemeinschaft durch eine Pandemie so stark erschüttert, ausgebremst und in Frage gestellt.

Viele haben ihre Unbeschwertheit verloren und leben in Angst vor Ansteckung oder Vereinsamung. Viele leiden unter den wirtschaftlichen Folgen und sorgen sich um die existentielle Grundlage ihres Lebens. Viele Menschen sind an dem bösen Virus gestorben und weitere werden noch sterben.

Als Christen fragen wir uns: Wie erkennen wir angesichts dieser umfassenden Krise Gottes weltweites Wirken? Was sind seine Absichten? Wie kann unser Glaube diese Geschehnisse deuten?

Für mich ist eines deutlich. Ich kann das, was in der Welt geschieht, nicht von Gott und seinem Wirken lösen, so als gebe es Ereignisse, mit denen er nichts zu tun habe. Und doch habe ich Schwierigkeiten das Handeln Gottes in der Welt eindeutig zu entschlüsseln. Es bleibt immer ein Deuten, ein Vermuten, ein Ahnen.

Ich gebe zu, ich tue mich schwer mit der Predigt, Corona sei eine Strafe Gottes. Vorsicht! Überheben wir uns nicht in theologischen Erklärungsversuchen, indem wir Gottes Handeln im Einzelfall enträtseln. Hier ist eher die Tugend der Demut angesagt. Zumal die Rede vom strafenden Gott für mich viel zu moralisch daherkommt. Als käme Gott die Rolle eines himmlischen Polizisten zu, der reflexartig seinen Menschenkindern beim kleinsten Vergehen auf die Finger haut. Nach dem Motto: Kleine Sünden straft der liebe Gott sofort. Nein, so nicht!

Ein anderer Gedanke bewegt mich und dabei hilft mir ein altes deutsches Wort weiter. Kennen Sie noch das Wort von der Heim-suchung? Gott sucht uns und prüft, ob wir wohl auch suchen mögen. Er sucht uns, damit wir heim finden. Heim zu ihm, damit wir ihm mit unserem Leben die Ehre geben. Er wirkt in und durch die Pandemie an uns, um uns neu auszurichten auf das, was dem Leben aller dient, um uns neu Orientierung zu geben. Das gilt für unser persönliches Leben, für Fragen nach der Gestalt unserer Kirche, für die Art und Weise, wie wir wirtschaften und für das Zusammenleben der weltweiten Völkergemeinschaft.

Wir erleben ja gerade, wie die Pandemie unser Vertrauen in unsere menschlichen Möglichkeiten erschüttert. Unsere Selbstgenügsamkeit wird in Frage gestellt. Unsere Selbstsicherheit, als hätten wir unser Leben in der Hand, als hätten wir alles unter Kontrolle.

Warum sollten wir nicht in all dem eine Heim-suchung Gottes verstehen dürfen. Er rüttelt uns auf aus falscher Sicherheit, damit wir neu nach ihm fragen. So wie es in einem Gebet heißt: „Lass uns nie vergessen, dass das Leben ein Geschenk ist. Dass wir irgendwann sterben werden und nicht alles kontrollieren können. Dass im Leben so vieles unwichtig ist, was oft so laut daherkommt.“

Zuletzt das Wichtigste. Wenn mich Gottes Handeln in der Welt erschreckt und ich nicht verstehe, was das bedeutet, dann fliehe ich von dem weg, was ich nicht verstehe, zu dem einen Ort, an dem es keine Zweideutigkeit gibt, dem Ort, an dem Gott sein Herz zeigt, also dem Kreuz Jesu und seinem Sieg am Ostermorgen. An diesem Ort kann ich meine eigene Ohnmacht zugeben auch die Grenzen meines Glaubens und die Hilflosigkeit meines Verstandes. Hier kann ich sagen: „Herr, erbarme dich! Ich verstehe dein Tun gerade nicht, aber ich weiß, du kannst es nicht anders als gut mit uns meinen. Ich muss dein Handeln nicht klug deuten. Aber ich brauche einen Ort, an dem mein Leid aufgehoben ist in deinem Mitleiden und in deiner Fürsorge.

Ihr Pfarrer Carsten Schleef