Neulich im Schulbus: „Xavi Alsonso wird Leverkusen verlassen und neuer Trainer der Bayern“, erklärt ein etwa zehnjähriger Fußballfan stolz seinem Freund. Der ist aber davon gar nicht überzeugt. „Quatsch! Der bleibt in Leverkusen.“ Klein beigeben will der andere aber auch nicht. „Aber das stand im Internet“, entgegnet er. Eine Weile geht es hin und her, die Argumente für Leverkusen werden immer gewichtiger, Smartphones werden hervorgeholt, Webseiten vorgezeigt. Schließlich versucht der junge Bayern-Fan alle gegenteiligen Aussagen auszukontern: „Das sind doch alles Fake News.“
Ende der Debatte! Man kann über diesen harmlosen Fall schmunzeln. Und doch zeigt er ein tieferes Problem an. Beim Streit um die Wahrheit geht es darum, wer recht hat. Und welche Quellen glaubwürdig sind. Wem kann ich eigentlich noch Glauben schenken? Wer oder was verdient mein Vertrauen?
Das ist gar nicht mehr so einfach zu beantworten. Denn in einer Welt, in der der Nachrichtenfluss immer schneller wird und jeder übers Internet ohne Umwege an die neuesten Nachrichten kommt, wird die Orientierung nach belastbaren Fakten immer schwieriger. Zumal selbst von höchsten Stellen mit sogenannten „alternativen Fakten“ Politik gemacht wird. Auf dem Markt der Meinungen blüht das Geschäft mit Fake News und gezielt eingesetzten Desinformationen. Regierungen überlegen ernsthaft, ob sie den Social Media Dienst Tik Tok verbieten sollen. Der 2018 verstorbene weltberühmte britische Astrophysiker Stephen Hawking hat vier Jahre vor seinem Tod eindringlich vor der KI gewarnt. Er sah es als Bedrohung für die Menschheit, dass eines Tages Maschinen die Kontrolle übernehmen könnten. Diese Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen. Denn KI-Programme haben bekanntlich kein Gewissen. Lüge und Wahrheit als moralische Größen existieren nicht. Die Menschheit tut deshalb gut daran, den Risiken der KI mit Regelungen wie dem KI-Gesetz der EU und der darin aufleuchtenden Vernunft und Moral entgegenzutreten.
Doch es bleibt die Herausforderung für jeden einzelnen seinen eigenen Kompass der Urteilsfähigkeit zu schulen. In einer Zeit, wo jeder zum Sender geworden ist und der Einfluss des Qualitätsjournalismus schwindet, gehört der kluge Umgang mit Informationen zur Allgemeinbildung und sollte schon in der Schule gelernt werden. Denn Medienmündigkeit ist zur Existenzfrage unserer Demokratie geworden.
In der Bergpredigt sagt Jesus: „Eure Rede sei Ja, Ja und Nein, Nein, was darüber ist, das ist ein Übel.“ Dass viele ihr Wort nicht halten, kann für Christenmenschen eben kein Grund sein, ebenso zu verfahren. Da steht Wahrhaftigkeit gegen Lüge. Ungeteilt soll unser Reden sein: Ja, Ja oder Nein, Nein. Wir sollen nicht “Ja” sagen und “Nein” meinen und umgekehrt auch nicht. Ja soll Ja sein und Nein soll Nein sein.
Das muss erst recht für unsere Kirche heute gelten. Jesu Forderung nach Eindeutigkeit und Wahrhaftigkeit schafft eine Atmosphäre der Verlässlichkeit. Die hat unsere Kirche in Zeiten des Wandels bitter nötig. Denn es braucht Menschen und Institutionen, die zu dem stehen, was sie sagen und verlauten. Das ist dann ein Segen für unsere Welt. Und die braucht den Segen und lebt vom Segen.
Pfarrer Carsten Schleef