Es reicht. Aus der Fülle leben!

„Jetzt reicht es aber!“ So habe ich es zuletzt des öfteren gehört. Ein leicht verärgerter Ausruf angesichts der langanhaltenden Einschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Als der Lockdown angeordnet wurde, hat es mich erstaunt, wie die übergroße Mehrheit der Menschen sich in disziplinierter Haltung geübt haben. Aber mit fortschreitender Dauer wird die Geduld vieler auf die Probe gestellt. Die gegenwärtigen Lockerungen im Sinne einer neuen Freiheit wird darum häufig begleitet mit dem Spruch: „Ich hab die Schnauze voll“ oder weniger derb „Ich bin es leid“.

„Es reicht“ – diese nüchterne Feststellung kann sich auch beim kritischen Zeitgenossen einstellen, wenn er dem überquellenden Angebot in unseren Kaufhäusern begegnet. Es reicht – für den täglichen Bedarf schon lange. Aber es reicht auch in einem noch ganz anderen Sinn. Agrarökonome rechnen uns vor, dass unsere Erde genügend Kapazitäten hat, um alle Menschen zu versorgen. Das Problem ist die ungleiche Verteilung. Die einen haben so viel, dass das Überangebot und die Einseitigkeit der Lebensmittel Dickleibigkeit und andere Zivilisationskrankheiten fördert. Und die anderen haben zu wenig zum Überleben für den nächsten Tag. Fast zynisch klingt da der Werbeslogan einer bekannten Drogeriekette vor übervollen Regalwänden: „Alles, was du brauchst“.

In diese Situation hinein höre ich das Wort für diese Woche.
Jesus spricht: „Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern.“ (Lukas 12, 48b)

Solch ein Satz erdet mich. Er spricht von einer Wahrheit hinter der Wirklichkeit unseres Lebens. Jesus bringt es auf den Punkt: Was ich habe, ist mir gegeben. Das ist eine Grunderkenntnis des Glaubens. Und dazu gehören nicht allein die materiellen Gütern. Vor Gott ist unser Leben immer ein Ganzes. Zur Fülle, aus der ich schöpfe, gehört meine Lebenszeit, meine Vitalität, meine Geisteskraft, meine Begabungen und Fähigkeiten, meine Ausbildung, mein soziales Umfeld und vieles weitere mehr. Sicher ist vieles davon auch Ergebnis eigener Anstrengung und eigener Bemühungen. Und das ich all das haben und besitzen darf, ist ein großes Glück, das nicht moralisch zu disqualifizieren ist.

Entscheidend aber ist, was ich mit dem, was wir haben, was uns anvertraut ist, machen. Die Art, wie wir mit den Dingen umgehen, hat nicht nur Auswirkungen auf mich, sondern auch auf andere Menschen in der Nähe und in der Ferne, hat Folgen für die Gesellschaft und für die Zukunft unserer Erde.
Wofür setzen wir uns ein? Wo investieren wir unsere Zeit, unsere Kraft, unser Geld? Das sind wichtige Fragen, die uns an unsere Verantwortung erinnern.

Ja, Leben in Verantwortung – das kann mitunter eine schwere Bürde sein. Verantwortung hat immer ihren Preis. Diese Aufgabe wird aber dann leichter, wenn wir das Vertrauen aufbringen: Es reicht für alle, weil wir aus der Fülle leben. Dann überwiegt die Chance, dass unser Leben Segensspuren hinterlässt. Dass Menschen auch durch uns gesegnet werden. Das ist jeden Einsatz wert.

Ihr Pfarrer Carsten Schleef