Bei Gott zu Hause

Neulich las ich mal wieder den Aufkleber: „Jeder Mensch ist ein Ausländer. Fast überall.“

Mir gefällt dieser Slogan, wegen seiner schlichten, einfachen Wahrheit. Da ist auf den Punkt gebracht, was viele Bundesbürger*innen in dieser Urlaubszeit hautnah erleben. Sobald wir die relativ engen Grenzen Deutschlands verlassen, sehen uns 99 % der Menschen als Ausländer an. Ein lehrreicher Perspektivwechsel, der mich davor bewahren sollte, andere Menschen vorschnell in Schubladen zu packen.

Aber es gilt ja auch umgekehrt. Nicht alle Menschen sind Einheimische. Wir haben unterschiedliche Staatsbürgerschaften. Wir gehören verschiedenen Rechtssystemen an. Wir leben in unterschiedlichen Gruppen, die unsere unterschiedlichen Zugehörigkeiten definieren. Wer außerhalb der jeweiligen Gruppe steht, ist uns instinktiv „fremd“, nämlich unbekannt und damit unberechenbar und vielleicht sogar bedrohlich.

Das scheint ein weltweites Phänomen zu sein. In traditionellen Stammesgesellschaften in Afrika kann man ganz ähnliches erleben. Besonders krass wird dieses Prinzip im indischen Kastensystem auf die Spitze getrieben. Hier legitimiert und zementiert es die Herrschaft und die Privilegien der höheren Kaste gegenüber den Kastenlosen, den sogenannten Unberührbaren. Und auch, wenn wir zurückgehen in biblische Zeiten, so begegnet uns auch da die Unterscheidung von „dazugehören“ und „draußensein“. Wer Römer war, besaß das römische Bürgerrecht im Unterscheid zu den vielen anderen Volksgruppen im römischen Vielvölkerstaats. Die Griechen sahen alle anderen als „Barbaren“ an. Und das Alte Testament unterscheidet zwischen dem jüdischen Volk, das sich als Nachfahre von Abraham, Isaak und Jakob versteht und allen übrigen Völker, den „Heiden“. So gab und gibt es unzählige Zäune zwischen Menschen. Mauern, die uns voneinander trennen.

Der aktuelle Wochenspruch weiß um eine andere, uns irritierende Wahrheit:
„So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen“. (Epheserbrief 2, 19)

Das ist ein Wort des Apostel Paulus, das er mitten hinein spricht in das multikulturelle Leben der antiken Weltmetropole Ephesus. Für ihn kann es innerhalb der neuen Gemeinschaftsform der christlichen Gemeinden nicht mehr die allseits bekannten und geläufigen Unterscheidungen und Trennungen geben. Weil Jesus in Kreuz und Auferstehung die Trennung zwischen Gott und Mensch überwunden hat, hat er zugleich die trennenden Mauern zwischen den Menschen niedergerissen. Jeder, ob Jude oder Grieche, ob reich oder arm, ob Mann oder Frau, ob Erwachsener oder Kind, jeder und jede, die an Jesus glaubt, gehört dazu.

So schafft der Glaube eine neue Sozialform. Die Gemeinde Jesu Christi. An seinem Tisch sind wir nicht nur geduldete Gäste auf Zeit, sondern wir sind vollwertige Mitglieder seiner Familie. Die Probleme der „Rassen“, der „Apartheid“, der „Überfremdung“ sind nicht gottgewollte Probleme, sondern sie sind von Menschen gemacht. An uns Christen sollen andere erkennen, dass man Menschen nicht aufteilen darf in „wir“ und „die da draußen“. Gott will, dass wir unsere Gruppeninstinkte verlassen, damit wir uns auf ihn verlassen. Bei ihm sind wir zu Hause, immer und überall.

Ihr Pfarrer Carsten Schleef