Heilung durch Gemeinschaft

Heute möchte ich mit einem Witz beginnen. Eine fromme Frau geht eigentlich jeden Sonntag in die Kirche. Aber eines Tages wird sie krank und kann nicht selber gehen und schickt ihren wortkargen Mann in den Gottesdienst mit dem Auftrag ihr alles zu erzählen, was der Pfarrer predigt. Als der Mann zurückkommt fragt sie ihn aus: „Und worüber ging die Predigt?“. Der wortkarge Mann antwortet gewohnt knapp: „Über die Sünde“. Darauf sie, schon ein wenig ungeduldig: „Und was hat der Pfarrer dazu gesagt?“ Und prompt kommt die Antwort: „Er war dagegen!“.

„Sünde“, die kennen wir ganz unterschiedlich: große und kleine, die Erbsünde, die Ur- und Todsünde etc. Aber was bedeutet eigentlich Sünde im biblischen Kontext?
Sünde in der Bibel bedeutet etwas viel Grundsätzlicheres als eine schlechte moralische Tat. Sünde in der Bibel ist eher ein Zustand aller Menschen. Sünde in der Bibel lässt sich am ehesten beschreiben mit „getrennt sein“. So ist die Geschichte von Adam und Eva zu verstehen. Vor dem Sündenfall konnte der Mensch im Paradies einfach so Gott begegnen. Seit der Vertreibung aus dem Paradies ist der Mensch vom unmittelbaren Kontakt zu Gott getrennt gewesen in dieser Welt. Nun kann ich nicht mehr einfach um die Ecke gehen und bei ihm sein. Und so versteht die Bibel auch die Sünde zwischen Menschen. Alles, was die Menschen von Gott, von einander und von sich selbst trennt ist „Sünde“. Es geht also um etwas viel Fundamentaleres, Grundsätzlicheres als „nur“ um Moral. Und das macht uns alle gleich. Egal wie wir uns mühen, egal wie oft wir es versuchen: Wir bleiben von Gott, von unserem Nächsten und von uns selbst getrennt. Und kein Mensch kann aus sich heraus diesen Zustand beenden oder minimieren.

Aber gegen die Sünde setzt Gott für uns Christen die „Heilung“. Und Heilung bedeutet in der Umkehrung also „Gemeinschaft“. Und diese Heilung feiern wir an Ostern: Gott stellt von sich aus im Kreuz wieder Kontakt zu den Menschen her. Was Gott von uns getrennt hat, reißt er ein. Er sagt uns zu, er sagt allen Menschen zu, dass er Gemeinschaft mit uns haben will und hat. Diese Zusage zu Ostern ist stärker als alles: als unsere Zweifel, unser nicht spüren von Gott, ja stärker als der Tod, der absolutes Getrenntsein bedeutet. Im Kreuz heilt Gott, weil er uns zusichert, dass die Gemeinschaft mit ihm unverbrüchlich ist und nichts uns von Gottes Liebe trennen kann: kein Unglaube, keine schlechte Tat, nicht einmal der Tod.
Und diese Heilung ist nun seit Ostern – unser Auftrag. Gott überwindet die Trennung zwischen Mensch und Gott und so sollen wir alles daran setzen, das Trennende zu überwinden und Gemeinschaft zu leben. Und so sind auch die Wunderheilungen in der Bibel zu verstehen. Zu Jesu Zeiten schloss Krankheit oder Behinderung einem Menschen von der Gemeinschaft aus. Wer krank oder behindert war durfte nicht am Gottesdienst teilnehmen und wer nicht am Gottesdienst teilnehmen durfte war auch ansonsten von der Gemeinschaft ausgeschlossen. Wenn Jesus einen Menschen heilt, dann geht es also nicht um die Herstellung der körperlichen Unversehrtheit, sondern wer geheilt ist, ist wieder vollwertiger Teil der Gemeinschaft. (z.B.: Lukas 5, 17-26. Die Heilung eines Gelähmten). Wenn wir also alte oder behinderte Menschen „heilen“ sollen, dann bedeutet das Gemeinschaft zu haben. Heilung heißt nicht, dass die alten Menschen wieder wie Jugendliche herumspringen können, aber wenn unsere Konfis den Gottesdienst im Altenheim besuchen oder alte Menschen im Heim besuchen, dann geschieht hier „Heilung“ im biblischen Sinne. Wenn Menschen mit Behinderung unseren Gottesdienst besuchen und dort wie jedes andere Gemeindeglied behandelt werden, dann geschieht Heilung. Wenn wir in unserer Mitte Flüchtlinge aufnehmen und uns in der Tafel um arme Menschen kümmern, dann ist das Heilung im biblischen Sinne, weil es eben nicht nur um das Dach über dem Kopf oder das Sattwerden geht sondern um Gemeinschaft. Und Kampf gegen Sünde heißt allen Formen von Trennung entschlossen entgegenzutreten. Wenn wir hören, dass andere Menschen nicht dazuzugehören sollen, wegen ihres Glaubens, wegen ihrer Hautfarbe, wegen ihrer Kultur, wegen ihrer sexuellen Orientierung, wegen ihres Geschlechts, dann ist diese Forderung nach Ausschluss Sünde, der wir uns entschlossen entgegenstellen müssen.
Wir leben in Zeiten der erzwungenen Trennung. Theologisch könnte man sagen, wir erleben die Sünde am eigenen Leib, nämlich durch das verordnete Getrenntsein. Und wir merken wie wir an diesem Zustand leiden. Und wie wir hoffen, dass diese Trennung endlich vorüber gehen mag. Das ist nichts anderes als die Sehnsucht nach Heilung, wie sie in der Bibel steht. Und ich finde es toll, wie kreativ die Menschen sind, um trotz des äußeren Getrenntseins Gemeinschaft zu haben: die Telefonate, die Einkäufe füreinander, das Austragen der Osterbriefe, die Andacht vor dem Altenheim, die Gebete für die Isolierten, alles das sind Heilungen mitten in unserem getrennt voneinander sein. Das sind sichtbare Zeichen unseres Kampfes gegen die Sünde und gleichzeitig österliche Zeichen der Heilung. Und so dürfen wir hoffen auf den Tag, an dem das alles vorüber sein wird. Wenn weder Zweifel noch Unglaube, weder schlechte Taten noch der Tod uns trennen kann von der Liebe Gottes, dann wird das auch dieser blöde Virus nicht schaffen, sondern am Ende wird auch dieser überwunden werden…weil Gott am Kreuz die Gemeinschaft mit uns allen ein für alle mal wiederhergestellt hat…in diesem Sinne immer noch frohe Ostern

Ihr/euer Albi Roebke