Innere und äußere Stille

Liebe Gemeinde!

Nun ruhen alle Wälder, /
Vieh, Menschen, Städt und Felder, /
es schläft die ganze Welt.“,

lauten die ersten Zeilen eines Liedes von Paul Gerhardt aus dem 17. Jahrhundert (vgl. Ev. Gesangbuch 477). Diese Zeilen fielen mir ein, als ich die Tage in den Zeitungen Fotos von leeren Plätzen und Fußgängerzonen in den Großstädten der ganzen Welt sah. Die Welt scheint in diesen Tagen still zu stehen.

Stille ist ja in unserer Zeit ein kostbares Gut geworden. Die Welt gilt uns – anders als im 17. Jahrhundert – eigentlich schon lange nicht mehr als still. Verkehrslärm und ähnliches machen viele Menschen krank. Und wenn wir die Stille nicht in der Welt da draußen finden, weil uns der Lärm zu sehr stört, dann suchen wir die Stille eben drinnen: in unseren Häusern und Wohnungen. Wir spüren: Stille ist etwas, das uns Menschen gut tut – auch oder vielleicht gerade im 21. Jahrhundert.

Aber genauso kennen wir auch die andere Erfahrung: Kaum sind wir dem Lärm und der Unruhe entkommen und sind in die Stille eingetaucht, fällt es uns schwer, sie zu ertragen. Wir drehen die Musikanlage auf, schalten den Fernseher an oder schauen im Internet nach den neusten Corona-Nachrichten.

Die Bilder von leeren Innenstädten könnten uns heute einmal neu fragen lassen: Was ist eigentlich Stille? Wir sind es gewohnt, die Stille heutzutage als Abwesenheit von Verkehr und Lärm zu verstehen. Und dann machen wir die Erfahrung, dass uns diese Stille doch nicht das gibt, wonach wir uns sehnen.

Ganz anders deutet der Beter des 62. Psalms die Stille: „Nur zu Gott hin wird meine Seele still. (Psalm 62,2) Hier ist die Stille nicht die Abwesenheit von Lärm, sondern eine Folge der Hinwendung zu Gott.

Wenn allabendlich die Glocken in die Stille hinein läuten, so ist dies also – anders als der Verkehrslärm – keine Unterbrechung der natürlichen Stille, sondern die Erinnerung an uns, wo unsere Seele Stille erfährt:

Nur zu Gott hin wird meine Seele still.“

Die Hinwendung zu Gott lässt unsere Seele still werden, lässt es in uns still werden. Erst wenn es in mir still wird, kann ich auch die äußere Stille ertragen und genießen.

Ihr Pfarrer
Gregor Wiebe