Den Schalter umlegen

„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ (Römerbrief 12,21)

Das Wort des Völkerapostel Paulus trifft ins Mark. Sein Appell provoziert mich zur Frage: Wie reagiere ich, wenn mir offensichtlich Unrecht geschehen ist? Wie verhalten wir uns, wenn Menschen uns nicht wohl gesonnen sind, sondern übel mitspielen? 
Die normalste Reaktion des Menschen ist wohl auf sein zutiefst verankertes Schutzbedürfnis zurückzuführen: Sich zurückzuziehen ins eigene Schneckenhaus. Oder weniger harmlos: Stacheln ausfahren, flankiert mit dem Hinweis auf eigene moralische Unfehlbarkeit. Nach dem Motto: „Ich bin doch ein friedlicher Mensch – aber wenn mir einer dumm kommt, dann bin ich auch nicht zimperlich und wehre mich natürlich.“ Schon das Sprichwort will uns weismachen: Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil!
Unsere Versuche Gut und Böse zu identifizieren, stehen stets in der Gefahr die Dinge zu vereinfachen. Gut und Böse sind Kategorie, die allzu schnell dazu verführen, die Welt in Schwarz und Weiß einzuteilen. Und dabei immer schon zu wissen auf welcher Seite man selber steht. Der Komplexität der Welt, den verstrickten Geschichten im persönlichen Leben, den festgefahrenen Gesprächen mit schwierigen Menschen kommt man damit nicht wirklich bei. Gibt es keine anderen Möglichkeiten?

In diesem moralischen Problemfeld höre ich das Wort des Paulus. Offensichtlich weiß er um die Mechanismen menschlicher Schutzinstinkte. Deswegen wird er hier ganz praktisch. Ihn bewegt die Frage: Wie können wir als Christenmenschen mit zwischenmenschlichem Frust, mit erlebtem Unrecht und mit erlittener Bosheit so umgehen, dass durch unser Verhalten die Wahrheit und die Liebe Gottes sichtbar werden? 
Zugegeben, das ist eine anspruchsvolle Frage. Sie betrifft nicht allein das persönliche Leben, sondern mitunter auch eine ganze Gruppe von Menschen. Die frühen Christengemeinden konnten davon ein Lied singen. Sie kannten die schmerzhaften Erfahrungen von Ausgegrenztheit und Verfolgung. Gerade in der Zeit als Paulus diese Zeilen an seine Gemeinde in Rom schrieb, stellte sich die Gewalt des Kaisers gegen sie. Paulus selbst wird das einige Jahre später am eigenen Leib erfahren, als er unter Nero oder dessen Nachfolger zum Tode verurteilt wurde.

„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem!“ Das ist kein harmloser Spruch für das Poesiealbum. Das kann man nur, wenn man sich ganz bewusst dazu entscheidet. Das kann nur derjenige, der sich seines eigenen Wertes bewusst ist und dadurch innerlich frei wird. Das kann nur diejenige, die bereit ist, den Schalter im eigenen Kopf umzulegen.

Das Böse nicht nur erdulden, sondern aktiv überwinden, erfordert wirkliche Größe und Kraft. Dass Paulus den Christen das zutraut und zumutet, zeigt, wie er von ihrer inneren Stärke überzeugt ist. Und damit liegt er ganz auf der Linie Jesu, der auch nicht seine Macht ausspielte, sondern das Unrecht ertrug bis zum Kreuz und sich gerade dadurch als stärker erwies als alle ihm entgegengesetzte Bosheit und Gewalt.

Das Böse mit Gutem ausschalten kann nur der, der den inneren Schalter umlegt. Oder wie es mir ein Zeitgenosse sagte: „Ich weigere mich zurück zu hassen!“ Wenn wir umschalten auf Vertrauen und Vergebung, auf Dank und Hoffnung, auf Demut und Liebe, dann können auch wir Unrecht ertragen und überwinden. Statt die Opferrolle zu übernehmen, treten wir auf die Seite des Überwinders Jesus. Nicht durch Gegendruck, sondern durch die Identifikation mit dem, der die Liebe in Person ist.