Mut zur Demut

Liebe Gemeinde,

„Mut“ ist ein interessantes, vor allem gewichtiges und vielschichtiges deutsches Wort. Das machen die vielen zusammengesetzten Wörter deutlich, in denen das Wort „Mut“ steckt: Anmut, Demut, Edelmut, Freimut, Großmut, Hochmut, Langmut, Missmut, Sanftmut, Übermut, Wagemut, Wehmut.
Die Bedeutungen der verschiedenen mit „Mut“ gebildeten Wörter sind ganz unterschiedlich: Bei Anmut denken wir an Schönheit, bei Demut an Bereitschaft und Bescheidenheit, bei Großmut vielleicht an einen großzügigen Menschen und bei Edelmut, Freimut und Wagemut an einen besonders kühnen und ritterlichen Menschen. Sanftmut hat etwas mit Barmherzigkeit zu tun und Langmut etwas mit Geduld. Wehmütig sind wir, wenn wir zum Beispiel sehnsuchtsvoll an etwas zurückdenken, vielleicht an einen geliebten Menschen, oder missmutig, wenn wir schlechte Laune haben. Und der Volksmund weiß (– durch die Bibel, vgl. Sprüche 16,18 –): Hochmut kommt vor dem Fall, und Übermut tun selten gut. Alle diese Wörter haben etwas mit Mut bzw. unserem Gemüt zu tun.

Wie schillernd und vielseitig die Bedeutung des Wortes „Mut“ ist, zeigt sich sogar bisweilen in ein und demselben Wort: Während wir bei dem Substantiv „Demut“ durchaus an etwas Positives, Gutes oder Tugendhaftes denken, weckt das entsprechende Verb „demütigen“ eher negative Assoziationen bei uns. Allein deshalb lohnt es sich schon, einmal genauer über dieses Wort nachzudenken – vor allem aber, weil es auch im Neuen Testament eine ganz wichtige Rolle spielt.
Es kommt auch in dem Spruch für diese Woche vor; hier werden zwei „Mutige“ gegenübergestellt:

Gott widersteht den Hochmütigen, doch den Demütigen gibt er Gnade.“

Martin Luther übersetzte das griechische Wort ταπεινοφροσύνη / tapeinophrosýne mit Demut. In der lateinischen Bibel steht hier das Wort humilitas. Beide Wörter haben etwas mit dem „humus“, dem Erdboden, zu tun und meinen etwas Unbedeutendes und Geringes, das am Boden liegt.
Ganz anders aber sind Herkunft und Gehalt des deutschen Wortes „Demut“. Die Germanen kannten dieses Wort gar nicht. Luther hat das deutsche Wort „Demut“ mit seiner Übersetzung für dieses griechische bzw. lateinische Wort geprägt, und erst mit Luthers Bibelübersetzung hat sich dieses schöne Wort durchgesetzt.

„Demut“ besteht aus zwei Teilen: Die Vorsilbe „De-“ hat denselben Ursprung wie „dienen“. Und der „Mut“ ist zu Luthers Zeiten noch sehr viel mehr das Gemüt, eine Gesinnung, eine innere Haltung des Menschen. Demut meint also eine dienende Haltung, die Bereitschaft von uns Menschen zu dienen. Dieser Haltung steht der Hochmut entgegen. Luthers Übersetzung ist genial, weil dieses biblische Wort im Deutschen – anders als noch im Griechischen oder Lateinischen – auf einmal so etwas wie die Haltung eines Christenmenschen auf den Punkt bringt:
Ich bin sanftmütig und von Herzen demütig.“, sagt Jesus (Matthäus 11,29)

So wie Gott dem Menschen dient, so soll auch der Mensch demütig werden, also Mut und Bereitschaft haben zu dienen:
Gott widersteht den Hochmütigen, doch den Demütigen gibt er Gnade.“

Ähnlich genial wie Luther mit seiner Übersetzung hier etwas in nur einem Wort auf den Punkt bringt, interpretiert ein Dichter in einem alten Adventslied unseren Wochenspruch, was es mit der Demut bei Gott und dem Hochmut bei uns Menschen auf sich hat:
Ein Herz, das Demut liebet, / bei Gott am höchsten steht; /
ein Herz, das Hochmut übet, / mit Angst zugrunde geht.“
(aus der 3. Strophe des Liedes „Mit Ernst, o Menschenkinder“, gedichtet 1642 von Valentin Thilo; vgl. Ev. Gesangbuch 10,3)

Gott stellt unserem menschlichen Hochmut, die uns Angst und Bange macht, die Demut entgegen! Und wer Gott an sich dienen lässt, der wird auch selbst ganz demütig – was für eine schöne Ermutigung!

Ihr Pfarrer Gregor Wiebe