„Ein Tag, der sagt dem andern, / mein Leben sei ein Wandern“

Liebe Gemeinde!

Ein Tag, der sagt dem andern, / mein Leben sei ein Wandern / zur großen Ewigkeit.

mein Leben sei ein Wandern“
Diese wunderschönen, unheimlich dichten Zeilen, die ganz leicht und tiefsinnig zugleich daherkommen, stammen aus einem Lied des niederrheinischen Pietisten Gerhard Tersteegen (1697-1769; vgl. Ev. Gesangbuch 481,5). Tersteegen – wie auch die Bibel (vgl. z.B. Psalm 23,4) – vergleicht hier unser Leben mit einer Wanderung.
Und dieser Vergleich ist ja auch sehr passend: Auf einer Wanderung gibt es schöne und anstrengende Abschnitte; manchmal gehen wir lieber um den Berg herum, manchmal ersteigen wir den Berg aber auch und werden dann nach der Anstrengung mit einer schönen Aussicht belohnt. Man könnte noch so manchen Aspekt dieses schönen Vergleichs benennen und ausmalen.

Ein Tag, der sagt dem andern“
Worum es mir aber bei dem zitierten Liedvers geht, ist der andere Gedanke: Warum sagt das ‚ein Tag dem andern‘? Inwiefern macht uns jeder Tag aufs Neue darauf aufmerksam, dass unser Leben ein Wandern sei?

Ein Tag besteht aus dem Morgen, dem Mittag, dem Abend und der Nacht. In Gedichten oder anderer Literatur werden die vier Tageszeiten mit unserem Leben verglichen: mit der Kindheit und Jugend, mit dem Erwachsensein, dem Alter und dem Tod. Das gleiche gilt auch für die vier Jahreszeiten: den Frühling, den Sommer, den Herbst und den Winter.
In den vier Tages- und Jahreszeiten können wir also eine Art Spiegel unseres Lebens sehen.

  • Der Morgen und der Frühling stehen für unsere Kindheit und Jugendzeit;
  • der Mittag und der Sommer für unser Erwachsensein
  • und der Abend und der Herbst für das Alter – den Lebensabend (!);
  • der Winter und die Nacht stehen für unser Sterben und den Tod.

Jede einzelne Lebenszeit hat ihre eigenen Besonderheiten: z.B. das selbstvergessene und unbeschwerte Spielen in Kindheit und Jugend, das Familienleben oder der Beruf in der Erwachsenenzeit oder die Freude am Ruhestand und den Enkelkindern im Alter. Der Winter oder die Nacht stehen uns allen noch bevor und werden auch ihr ganz Eigenes mit sich bringen.

zur großen Ewigkeit“
Diese Woche haben wir Karfreitag und Ostern gefeiert – Jesu Kreuzigung und Auferstehung. Der Tod hat nicht das letzte Wort und bedeutet nicht das Ende – so wie die Nacht und der Winter nicht das Ende bedeuten. Auf den kalten Winter folgt der fröhliche Frühling, auf die dunkle Nacht der helle Morgen, auf den Schlaf des Winters und des Tages ein neues Erwachen – und auf unseren Tod unsere Auferstehung.

Von Karfreitag und Ostern herkommend machen uns diese Zeilen also auf etwas sehr Schönes aufmerksam: Jede Jahreszeit und jeder Tag im Kleinen können uns an die Botschaft von Karfreitag und Ostern erinnern:
Ein Tag, der sagt dem andern, / mein Leben sei ein Wandern / zur großen Ewigkeit.

Herzlich grüße ich Sie,
Ihr Pfarrer Gregor Wiebe