Gehört der Islam zu Deutschland?

Der Jedermann- und Jedefrau-Gesprächskreis zum Thema

Gehört der Islam zu Deutschland?

Eine Zusammenfassung
Am 16. März 2016 setzte der Jedermann- und Jedefrau-Gesprächskreis der evangelischen Kirche in Seelscheid die im Vorjahr begonnene Vortrags- und Gesprächsrunde zum Thema „Gehört der Islam zu Deutschland?“ fort.
Referent war wiederum Pfarrer Albrecht Roebke, der u.a. als Synodalbeauftragter für das christlich-islamische Gespräch beim Kirchenkreis Evangelischen Kirchenkreis an Sieg und Rhein (EKASUR) tätig ist. Er hat in Lehre und Praxis als Gasthörer an der Uni Marburg (Islamwissenschaften), auf Reisen in islamische Länder und in gemeinsamer Arbeit mit Muslimen seine Kenntnisse und Erfahrungen zum Islam erworben.
Das Thema ist in Folge der Zuwanderung von Flüchtlingen aus islamischen Ländern in der gesellschaftlichen Diskussion. Pfarrer Roebke erklärte gleich zu Beginn, dass er mit der Themenstellung nicht sehr glücklich sei. Entsprechend der Gesetzeslage wird heutzutage Deutschland nicht mehr mit einer Religion verbunden. Noch Mitte des letzten Jahrhunderts jedoch hat man z.B. südeuropäische Länder gerne mit der katholischen oder nordeuropäische mit der protestantischen Religion verbunden. Die Fragestellung sollte daher eher lauten, wie die zugewanderten und noch zuwandernden Menschen, die in der Mehrheit dem muslimischen Glauben angehören, mit und in dem Deutschen Staat zurechtkommen.
In der öffentlichen Diskussion überwiegt die Meinung, dass die Muslime ein stark von ihrer Religion beeinflusstes Staats- und Rechtsverständnis haben. In vielen muslimischen Ländern (z.B. im Iran, in Saudi-Arabien, mehr und mehr auch in der Türkei) sind Staat und Religion tatsächlich eng miteinander verbunden. Albrecht Roebke widmete diesmal Detailfragen zum Islam wie dem Rechtssystem der Scharia breiten Raum in seinen Ausführungen.
Das Thema ist besonders interessant, weil viele Menschen hierzulande sich völlig falsche Vorstellungen über dieses Rechtssystem und seine Anwendung machen. Auch die Vorstellung, Recht der Scharia würde unser Rechtssystem verdrängen oder unserem Recht vorgehen, ist nicht zutreffend. Die grundgesetzlich verankerten Rechte wie die Unantastbarkeit der Würde des Menschen, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Religionsfreiheit und die Freiheit der Meinung, um nur einige unserer Grundrechte zu nennen, sind nicht gegenüber der Scharia unwirksam, sondern gehen ihr und ihren Inhalten rechtlich vor, sie binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung in Deutschland als unmittelbar geltendes Recht.
Im Übrigen gebietet es auch der Islam, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen und ihnen mit Barmherzigkeit zu begegnen sowie Verantwortung für Mensch und Umwelt als Gottes Schöpfung zu übernehmen. Akzeptanz unserer Grundrechte dürfte gläubigen Moslems deshalb nicht schwerfallen. Integration in unsere Gesellschaft dürfte also durchaus auch vor dem Hintergrund ihres Glaubens den zu uns kommenden Flüchtlingen, meist Menschen muslimischen Glaubens, grundsätzlich gut gelingen können.
Wir dürfen nicht den Fehler machen, den Islam so zu verstehen, wie es die sogenannten „Islamisten“ gerne sehen würden. Und wir sollten auch nicht versäumen, Zahlen zu nennen. Es leben etwa 4 Millionen Muslime in Deutschland. Davon sind etwa die Hälfte, also 2 Millionen, deutsche Staatsbürger. Die deutsche Bevölkerung insgesamt umfasst etwa 82 Millionen. Ins Verhältnis zueinander gesetzt, ist die Furcht, Deutschland werde islamisiert, unbegründet.
Den Charakter der Scharia zu bestimmen oder zu erläutern, ist schwierig. Die Scharia ist nicht, wie viele dies glauben, ein schriftlich fixiertes Paragraphenwerk des Islams, sondern vielmehr eine Vorschriftensammlung aus schriftlichen Regeln im Koran und aus den Überlieferungen der Worte und Taten Mohammeds. Die „Urquellen“ sind über die Jahrhunderte bis heute durch traditionelle Gebräuche und Überlieferungen der islamischen Gesellschaft, Kommentare, Anmerkungen und Empfehlungen einzelner muslimischer Gelehrter oder verschiedener Rechtsschulen sowie letztlich durch die vernunftmäßige Interpretation des muslimisch glaubenden Menschen ergänzt worden. Letzteres ermöglicht eine Anpassung an geänderte Umstände in manchen Regionen und zu anderen Zeiten, also eine vorsichtige Reformierung der religiös-rechtlichen Verpflichtungen.
Die Scharia ist also eine vielfältige Sammlung rechtsrelevanter Vorschriften und Überzeugungen mit großen regionalen Unterschieden. Am Wirkungsvollsten in der Handhabung und Anwendungen in der muslimischen Gesellschaft kommen ihre Empfehlungen im Familien- und Erbrecht zum Ausdruck, die häufig auf gelebten Vorbildern beruhen. Wie beispielsweise hat Mohammed eine bestimmte Konstellation beim Erbrecht in seiner Familie gelöst, und passt die damals gefundene Regelung auf das aktuelle Problem einer Familie in heutiger Zeit. Wie wird sichergestellt, dass eine Frau ohne Vermögen und familiären Schutz dennoch ein gesichertes Leben führen kann etwa nach Tod des Ehemanns durch eine Heirat mit dem Ehemann ihrer Schwester, also eine Mehrfach-Heirat und -Ehe. Das sind für uns mit einem schriftlich fixierten umfangreichen Regelwerk zum Familien- und Eherecht nicht vorstellbare Entscheidungen, aber sie können aus der Problematik der jeweiligen Familienkonstellation in einer bestimmten Region durchaus sinnvolle Lösungen sein.
Für das Strafrecht finden sich im Gegensatz zu vielen landläufigen Vorstellungen keine konkreten Vorschriften in der Scharia. Im Strafrecht, wie es etwa in Saudi-Arabien gilt, sind drakonische Körperstrafen nach überlieferten vorislamischen traditionellen Gebräuchen üblich, etwa öffentliche Auspeitschungen oder gar öffentliche Hinrichtungen durch Köpfen des Delinquenten.
In unserem Rechtssystem sind solche Bestrafungen verfassungswidrig. Strafrechtliche Verfehlungen bei uns werden nach unserem geltenden Strafrecht sanktioniert. Gelegentlich werden unter den hier lebenden Muslimen dennoch nicht religiös fundierte, sondern im traditionellen Gewohnheitsrecht enthaltene Strafen angewendet, etwa Tötungen zur Wiederherstellung oder Aufrechterhaltung der Ehre. Ihre Ausübung wird hier bestraft, wenn sie hiesige Gesetze verletzt.
Jenseits der Information zu Scharia bestätigte Pfarrer Roebke die allgemeine Auffassung, dass sich Fremde, die bei uns Zuflucht suchen und hier bleiben wollen, unseren gesellschaftlichen und rechtlichen Regelungen anpassen müssten, wenn sie integriert hier leben wollten.
Kritische Fragen aus dem Teilnehmerkreis der Gesprächsrunde bezogen sich immer wieder auf die schlimmen Auswüchse des islamistischen Fundamentalismus. Der aber, so machte Pfarrer Roebke verständlich deutlich, kann nicht mit dem Islam als Religion gleichgesetzt werden. So widerspricht z.B. die Aussage der Islamisten, dass die terroristischen Selbstmordattentäter als Märtyrer das Paradies sicher hätten, der islamischen Wertvorstellung. Diese besagt zum Beispiel, dass der gläubige Muslim die Unversehrtheit des menschlichen Körpers achten muss.
Letztlich wurde in der Diskussion deutlich, dass es im Zusammenleben von Deutschen und Flüchtlingen, welcher Religion sie sich auch verpflichtet fühlen Einvernehmen darüber hergestellt werden muss, dass beide Seiten den Grundrechte-Artikeln unseres Grundgesetzes verpflichtet sind. Dann macht es Sinn, sich über die unterschiedlichen Kulturen und Religionen auseinander zu setzen.
Es war eine außerordentlich informative und für viele Teilnehmer lehrreiche Veranstaltung. Die Informationen im Gesprächskreis für Jedermann und Jedefrau zum Islam sollen mit einem Besuch einer Moschee und Diskussion mit Muslimen weitergeführt werden.

Peter Quadt und Horst Viehmann